Dieser Artikel erschien am 20. Mai auf welt.de und am 21. Mai in der Welt-Zeitung.
Der Konflikt zwischen dem Iran und den USA spitzt sich immer weiter zu. In den Supermärkten sind die Lebensmittel knapp, viele fühlen sich an die Zeiten des erstes Golfkrieges erinnert. Und das Wort „Krieg“ taucht immer häufiger auf.
„Meine Medikamente sind aufgebraucht, und sie sind so teuer geworden, dass ich sie mir nicht mehr leisten kann“, schreibt die Iranerin Raha B.* auf Twitter. Die iranischen Produkte könne sie wegen Nebenwirkungen nicht konsumieren. „Diese Zustände hätte ich mir selbst in meinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können“, schreibt die Iranerin, die in der Vergangenheit für eine regierungskritische Zeitung gearbeitet hat.
Klagen über Preiserhöhungen, Medikamentenengpässe und Lebensmittelmangel dominieren zurzeit die sozialen Medien im Iran. Dass es in Supermärkten keine Nudeln oder Thunfisch gebe, erinnere an die Zeiten des ersten Golfkrieges zwischen dem Iran und dem Irak, schreiben einige User. Und dieses Wort, Krieg, taucht dieser Tage häufiger auf, sei es bei der Arbeit unter Kollegen, beim Familienbesuch oder eben in sozialen Medien.
Seit die USA vor einem Jahr aus dem Atomvertrag mit dem Iran ausgestiegen sind, verschärfen sich die Spannungen zwischen den beiden Ländern. Die USA verhängen immer neue Wirtschaftssanktionen, der Iran hat seinerseits eine Teilaufkündigung des Vertrages bekannt gegeben, nach dem das Land sich verpflichtete, sein Atomprogramm zu beschränken, um keine Atomwaffen bauen zu können.
Zu einem dramatischen Höhepunkt kam es in der Nacht zu Montag: Laut US-Militär ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der Nähe der amerikanischen Botschaft in Bagdad eingeschlagen und explodiert. US-Präsident Donald Trump drohte darauf in einer Nachricht auf Twitter: „Wenn der Iran kämpfen will, wird dies das offizielle Ende des Iran sein. Droht nie wieder den Vereinigten Staaten!“
Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif antwortete per Twitter am Montag mit dem Hinweis, dass auch Alexander der Große, Dschingis Khan und andere ihre Drohungen gegen den Iran nicht umsetzen konnten. Wie wird die Eskalation in der iranischen Bevölkerung wahrgenommen?
Farhad S.*, ein iranischer Informatiker, ist geschockt über die Folgen des Konfliktes für das Land. „Letztes Jahr, als die Sanktionen wieder in Kraft traten, dachten wir in unserer kleinen Firma: ‚Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann. Wenn wir das überleben, überleben wir alles‘“, berichtet er in einem Chat bei Twitter. „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es noch schwierigere Tage geben würde.“ Damit spielt er nicht nur darauf an, dass die Sanktionen aus den USA die Wirtschaft noch heftiger treffen als zur Zeit des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, sondern auch darauf, dass die Kriegsgefahr ernster denn je geworden ist.
Viele Medien und politische Beobachter vergleichen die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und der Islamischen Republik mit der Zeit kurz vor der amerikanischen Invasion im Irak 2003. Der iranischen Bevölkerung sind diese Einschätzungen durchaus bekannt, jedoch nicht durch offizielle Kanäle und inländische iranische Medien.
So geriet das politische Magazin „Seda“ (Die Stimme), das den Unterstützern von Präsident Hassan Ruhani und damit nahesteht, ins Fadenkreuz der Hardliner. Die Redaktion hatte auf der Titelseite ein Foto der „USS Abraham Lincoln“ samt Begleitschiffen gedruckt und das Volk und die Politik vor der Wahrscheinlichkeit eines Krieges gewarnt. Die USA hatten das Flugzeugträgergeschwader Anfang Mai in den Persischen Golf verlegt.
Es folgte eine organisierte Kampagne gegen das Magazin: Die staatliche Nachrichtenagentur Fars, , nannte „Seda“ ein Sprachrohr von John Bolton, dem Nationalen Sicherheitsberater Donald Trumps. Der Redaktion wurden Landesverrat und Kriegspropaganda vorgeworfen. Daraufhin griff die Staatsanwaltschaft ein und schloss das Magazin vorübergehend. Der Artikel in „Seda“ war das erste und bisher einzige Mal, dass seit den neuen Spannungen mit den USA ein iranisches Medium auf die Gefahr des Krieges hingewiesen hat.
Nach dem Raketenangriff und den offenen Drohungen Trumps am Montag berichtete Irans staatliche Nachrichtenagentur Fars, dass Trumps Tweet mit der Explosion in Bagdad nichts zu tun habe. Der US-Präsident habe den Tweet vielmehr verfasst, nachdem er auf Fox News einen Bericht über die steigende Bedrohung, die von Iran ausgehe, gesehen habe. Andere iranische Medien legten ihren Fokus gleich auf kritische Reaktionen auf Trumps Tweet in sozialen Netzwerken.
Dass iranische Medien das gespannte Verhältnis mit den USA eher zurückhaltend darstellten, überrascht Raha B.* nicht, die als Journalistin selbst jahrelang die ungeschriebenen Zensurgesetze der Islamischen Republik erlebt hat. „Ich glaube, es wurde den Medien gesagt, dass sie der Bevölkerung keine Angst machen dürfen“, sagt sie in einem . Deswegen beschränke sich die Berichterstattung der Medien im Lande über eine Kriegsgefahr auf die offiziellen Ansagen und Reaktionen der Behörden. Etwa auf die Rede von Khamenei, dem Obersten Führer des Landes, der gesagt habe, dass es keinen Krieg geben würde. Regimeanhänger in sozialen Netzwerken treiben daraufhin das Hashtag #EsWirdKeinenKriegGebenUndWirVerhandelnNicht voran.
Ob das heiße, dass die Bürger nichts von den Spannungen und der Kriegsgefahr mitbekämen, verneint Raha B.*: „Selbst die Tatsache, dass es in Medien immer wieder heißt, dass es keinen Krieg geben werde, bedeutet, dass etwas passiert. Das iranische Publikum hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass alles, was man zwischen den Zeilen liest, viel wichtiger ist als das, was gedruckt und ausgestrahlt wird.“
Möbel „sofort zu verkaufen“
Darüber hinaus sind seit Langem die offiziellen Medien nicht die einzige Informationsquelle der Iraner. Die ausländischen etablierten Medien wie BBC Farsi oder oppositionelle Webseiten aus dem Ausland gelten vielen kritischen Iranern als zuverlässiger als die iranischen Medien, die nur unter staatlicher Zensur arbeiten dürfen.
Mit „Virtual Private Networks“ (VPN) umgehen viele Iraner die Kontrolle des Internets durch die Regierung und können so auch auf geblockte Webseiten zugreifen. Auch Instagram ist für viele eine beliebte Informationsquelle, hinzu kommen verschiedene Kanäle des Kurznachrichtendienstes Telegram, die zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Wie sehr die angespannte politische Situation und die dramatische Wirtschaftslage die Menschen beschäftigt, wird auch auf der Webseite Diwar sichtbar, die mit Ebay oder Ebay-Kleinanzeigen vergleichbar ist. Auf der Plattform gibt es unglaublich viele Anzeigen, die mit „sofort verkaufen” gekennzeichnet worden sind. Hier bieten Iraner, die das Land ganz verlassen wollen, Möbel und Einrichtungsgegenstände an.
Maryam G.*, die als Ingenieurin in der Erdölindustrie arbeitet und eigentlich vielmehr als der Durchschnitt der iranischen Bevölkerung verdient, ist eine derjenigen, die auf Diwar versuchen, schnellstmöglichst ihre Möbel loszuwerden. Sie erzählt am Telefon, dass sie in die Türkei auswandern will, wo sie Arbeit als Englischlehrerin und Dolmetscherin gefunden hat. Obwohl Maryam G. einen guten Job im Iran hat, ist ihr Gehalt nur noch ein Viertel dessen wert, was sie sich im Vorjahr davon leisten konnte. Und die Abwärtsspirale endet nicht. „Wer weiß, ob das Gehalt nicht in paar Monaten noch weniger wert ist?“, sagt sie. Selbst wenn kein Krieg ausbreche, seien die Sanktionen schon eine Art wirtschaftlicher Krieg. „Ich habe große Angst vor der Perspektivlosigkeit in diesem Land“, sagt sie.
Dass man die gewöhnlichsten Lebensmittel in Supermärkten nicht finden kann, dass die Kaufkraft der Familien von Tag zu Tag sinkt und immer mehr Menschen den Iran verlassen wollen – auch davon hört man in iranischen Medien selten. Und in diesem Fall gebe es keinen großen Unterschied zwischen den sogenannten kritischen Medien, hinter denen das gemäßigte politische Lager steht, und den staatlichen, die von den Anhängern des Obersten Führers gesteuert werden, sagt Raha B.*: „Es gibt einen Kompromiss zwischen den beiden großen politischen Flügeln: Die miserable wirtschaftliche Lage darf in Medien nicht abgebildet werden.“
Am Montag, nach der jüngsten Eskalation, verlor der iranische Rial auf dem freien Markt allein drei Prozent an Wert. Seit der Einsetzung der neuen Sanktion am 8. Mai 2019 sogar bereits rund zehn Prozent.
* die vollständigen Namen sind der Redaktion bekannt