Zwischen Behördenwillkür und Hoffnung: Wie es Irans Musikern, Schriftstellern und Filmemachern seit der letzten Wahl ergeht.

In Kultur
Dieser Artikel erschien am 15. Oktober 2016 auf der Berliner Tageszeitung, der Tagesspiegel.
Salar Aghili, Harir Shariatzhade, ihr Sohn

Als Salar Aghili im Januar 2013 ein Konzert in Bodschnurd im Norden Irans gab, verlangten Behördenvertreter, dass seine Frau Harir Shariatzadeh, die im Ensemble die Daf spielt, die Bühne verlässt. Sonst müsse das Konzert gestoppt werden. Der Sänger Aghili ist nicht irgendwer im Iran, sondern ein Star der traditionellen persischen Musik – in Deutschland gastierte er unter anderem mit dem Rundfunkchor Berlin. Und Frauen dürfen im Iran zwar nicht in der Öffentlichkeit singen, aber kein Gesetz verbietet ihnen, öffentlich ein Instrument zu spielen.

Ein halbes Jahr später wurde der Reformer Hassan Ruhani zum Präsidenten gewählt, zu seinen Wahlversprechen gehörte die kulturelle Öffnung des Landes. Das Atomabkommen vom Sommer 2015 und die Aufhebung zahlreicher Wirtschaftssanktionen nährten erneut die Hoffnung auf Liberalisierung auch in der Kultur – vielfach vergeblich. Bis heute werden überall im Land Konzerte seitens der Polizei oder des Amtsgerichts abgesagt. Über 30 zunächst genehmigte Konzerte wurden seit 2013 auf Druck konservativer Behörden kurzfristig verboten.

So hatte die sechsköpfige Kultband Pallett, die als eine der ersten Gruppen nach dem Wahlsieg der Reformer wieder auftreten durfte und mit ihrer Mischung aus Folk, Jazz und Traditionsmusik auch international von sich reden macht, für den 11. September 2016 in Kermanschah an der Grenze zum Irak ein Konzert anberaumt. Aber der Auftritt wurde mit dem Verweis auf ein Begräbnis der in Syrien getöteten iranischen Kämpfer abgesagt. Ebenso war im August ein Konzert von Benyamin Bahaadori, einem der beliebtesten Popsänger im Iran, im nördlich gelegenen Behschahr gecancelt worden. Und dem kurdisch-iranischen Sänger und Komponisten Sharam Nazeri wurde im Mai 2016 mit Festnahme gedroht, sollte er einen geplanten Auftritt in der Gebirgsstadt Neyschabur nicht absagen. Kontinuität statt kultureller Öffnung: Derselbe Staatsanwalt hatte schon früher Konzerte von Nazeri verhindert.

Bei Popmusik wittern Traditionalisten schnell Gefahr

Warum ist ausgerechnet die Musikszene ein Konfliktfeld zwischen Reformern und Konservativen? Bei Konzerten versammeln sich große Menschenmengen, meist junge Leute. Pop als Ausdruck der Freiheit, der Energie der Jugend – Traditionalisten wittern da schnell Gefahr. Kürzlich versuchte Ahmad Alamolhoda, der Vertreter des Obersten Religionsführers Chamenei, Konzerte in Maschhad komplett zu untersagen. Maschhad gilt als heilige Stätte, der Schrein des achten schiitischen Imams wird hier aufbewahrt. Die Stadt sei kein Ort für Tourismus und Genusssucht, wer Musik hören wolle, solle Maschhad verlassen, so Alamolhoda. Kulturminister Ali Dschannati bat um Verständnis für diese Haltung: „Wir respektieren seine Meinung, und obwohl die Konzerte keine Probleme bereiten, sollte man von ihnen absehen.“ In den sozialen Netzwerken war die Empörung groß, auf Twitter hieß es: „Alamolhoda ist wohl der König von Maschhad!“

Konzert von der Pallet-Band in Teheran

Es ist leichter als früher eine Publikationsgenehmigung zu erhalten

Schließlich reagierte Präsident Ruhani persönlich und kritisierte beide, den Kulturminister wie den schiitischen Kleriker. „Kein Minister sollte solch einem Druck nachgeben“, betonte Ruhani. „Gesetze werden im Parlament gemacht, nirgends sonst.“ Aber trotz der Intervention des Staatspräsidenten finden bis heute keine Konzerte in Maschhad statt.

Die Literatur, sollte man meinen, hat es vergleichsweise einfach, entfaltet sie doch weniger unmittelbare öffentliche Wirkung als etwa eine Band beim Open-Air-Konzert. Der Schriftsteller und Übersetzer Araz Barseghian stellt jedenfalls erfreut fest, es sei leichter geworden, eine Publikationsgenehmigung zu erhalten. Wer ein Buch, ein Album oder einen Film herausbringen will, muss einen Antrag beim Ministerium für Kultur und islamische Führung stellen. Manchmal dauert es Jahre, bis man eine Genehmigung bekommt, manchmal bekommt man sie gar nicht. Oder die gleiche Behörde untersagt eben das, was sie zuvor bewilligt hatte.

Barseghian zufolge hat sich das Verfahren für Schriftsteller in vielen Fällen beschleunigt. So erhielt etwa das von Barseghian und Gholamhossein Dolatbadi verfasste Theaterstück „Das Porträt des kaputten Manns“ über das Leben des legendären Theaterregisseurs Abdolhossein Nouschin (1906 –1971) im Jahr 2012 keine Publikationsgenehmigung. Nach dem Machtwechsel kam es schnell auf die Bühne, dieser Tage läuft es im Sangeladj-Theater in Teheran.

Aber auch die Literaturszene hat unter der Willkür der Behörden und dem Widerstreit zwischen Konservativen und Reformern zu leiden. So wartet „Der Colonel“ von Mahmoud Dowlatabadi, einem der bekanntesten iranischen Romanciers, immer noch auf Veröffentlichung, obwohl das Buch längst auf Englisch und Deutsch (2010 im Unions-Verlag) erschienen ist. Das Ministerium verlangt Änderungen in dem Roman, der von einem Offizier der Schah-Armee und dessen Kindern erzählt, die als Revolutionsgardisten ein schreckliches Ende nehmen.

Verurteilt, aber trotzdem nicht im Gefängnis

Für das größte internationale Aufsehen hat wohl das Schicksal der iranischen Filmschaffenden gesorgt; auch sie kämpfen mit Behördenwillkür. Der bekannteste Fall: Jafar Panahi, der 2010 zu 20-jährigem Berufsverbot und zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wegen angeblicher systemkritischer „Propaganda“. Seine Revision wurde abgelehnt. Panahi musste seine Haftstrafe aber bis heute nicht antreten. Seine drei seitdem realisierten Filme liefen auf den Festivals in Cannes und Berlin. „Taxi Teheran“ gewann 2015 den Goldenen Bären.

Keyvan Karimi, selbstständiger Filmmacher

Ähnlich ergeht es dem 31-jährigen Autorenfilmer Keywan Karimi, der im Oktober 2015 ebenfalls wegen angeblicher Anti-Iran-Propaganda zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde – und zu 223 Peitschenhieben. Auch ihm blieb die Strafe bisher erspart, auch er erfuhr internationale Solidarität von Kollegen, Kulturschaffenden, Filmfestivals und Menschenrechtsorganisationen. Und auch er arbeitet weiter. Anfang September zeigte das Filmfest Venedig sein Spielfilmdebüt, die kafkaeske Überwachungsstaat-Parabel „Drum“.

 

Unabhängige Filmemacher sind auf private Kinos angewiesen

Wie undurchschaubar die Zensurmechanismen sein können, das erlebt seit Jahren Reza Dormishian. Sein 2014 auf der Berlinale präsentierter Film „I’m Not Angry“ über die Wut einer Jugend ohne Zukunft wurde drei Tage vor dem Kinostart im Iran verboten, die Kopien waren bereits verschickt. Offenbar gaben Ruhanis Reformer dem Druck der Konservativen nach. Gesellschaftskritik, sagt Dormishian, werde immer noch als Schwarzmalerei abgestempelt.

Gleichzeitig kann Hauptdarstellerin Baran Kowsari nach zwei Jahren Berufsverbot wieder arbeiten, und Dormishians jüngstes Werk „Lantouri“ – ein Gesellschaftspanorama mit einer Teheraner Straßengang im Zentrum – lief dieses Jahr nicht nur in Berlin, sondern auch im Iran. Allerdings gehören viele Kinos zu einer staatlichen, konservativen Organisation und wollenden Film dann doch nicht zeigen. Der alte Konflikt, sagt der 35-Jährige: „Die Regierung genehmigt die Vorführung, aber eine andere staatliche Organisation verhindert sie wieder“. Unabhängige Filmemacher sind auf private Kinos angewiesen, die oft große Risiken eingehen. Und die Liberalisierung kann sich laut Dormishian nur dann positiv auf die Filmindustrie auswirken, wenn sich auch die wirtschaftliche Lage für die Menschen verbessert. Wer Existenznöte hat, für den ist selbst ein Kinoticket zu teuer.

Musiker, Filmemacher oder Schriftsteller brauchen viel Geduld im Iran. Und Gelassenheit. Die kulturelle Öffnung geht im Schneckentempo vor sich, Reformer und Konservative liegen weiter im Zwist. Da sind Rückschläge an der Tagesordnung. Reza Dormishian will jedenfalls erst dann von besseren Zeiten sprechen, wenn „I’m Not Angry“ in den staatlichen Kinos läuft.

Baran Kowsari, Shauspielerin

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