Dieser Artikel erschien am 15. Oktober 2016 auf der Berliner Tageszeitung, der Tagesspiegel. Die Fakten stimmen aber noch.
Die Menschen im Iran erwarteten vom Atomabkommen ein besseres Leben. Manche glauben noch immer daran – doch gerade die Jüngeren sind frustriert.
Das Atomabkommen sollte die Wirtschaft im Iran stärken und den Handel zwischen der Islamischen Republik und Deutschland ankurbeln. Doch seit dem Ende des Streits über das Nuklearprogramm des Landes und die Aufhebung der damit verbundenen Finanz- und Handelssanktionen vor einem halben Jahr sind die Fortschritte im Iran nach wie vor kaum sichtbar. Das sorgt nicht nur für Unmut im Parlament, sondern auch für Streit zwischen Konservativen und Reformern. Das Abkommen polarisiert mittlerweile die ganze Gesellschaft.
Viele Menschen haben eine ähnliche Haltung wie ein 35-jähriger Ingenieur: „Wir wissen ganz gewiss, dass der Iran sein Bestes gegeben hat, das Abkommen zu erfüllen, und wir vergessen die Untreue der anderen Seite nicht.“ Wo die „andere Seite“ die Vereinbarung gebrochen haben soll, erklärte er nicht. Ein Problem sind Strafmaßnahmen der USA, die sich nicht konkret auf das iranische Atomprogramm beziehen. Deswegen zögern Banken, zu investieren.
Öleinnahmen brachen enorm ein
Ein Befürworter des Abkommens ist der 24-jähriger Mitarbeiter eines Unternehmens, das Babykleidung importiert. Er erzählte, dass sein Arbeitgeber von der Italienreise des iranischen Präsidenten im Januar profitiert habe. Davor hätte eine italienische Firma, mit der sie nun kooperieren, nicht mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Ein 22-Jähriger, der bei einem Importeur für Maschinenersatzteile arbeitet, ergänzte: „Seitdem ist eine Stabilität in unserem Markt entstanden – trotz der Rezession.“
Während der langjährigen Wirtschaftssanktionen brachen die Öleinnahmen des Iran enorm ein. Gleichzeitig sank der Ölpreis. Als Konsequenz ging der Import zurück und viele Geschäfte, die davon abhingen, mussten aufgegeben werden. Das führte zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und einem Abschwung der Konjunktur.
Der Iran braucht Investitionen
Problematisch ist, dass vor allem die junge Bevölkerung von dem Atomabkommen enttäuscht ist. Ein 25-jähriger Lehrer sagte: „Trotz des Abkommens ist der Preis von einem Auto nicht gesunken und die Arbeitslosigkeit nicht zurückgegangen.“ Ein Mann aus Teheran meinte: „Die Veränderungen sind nur für die Reichen positiv, die immer reicher werden. Die Broker, die über Nacht teure Autos kaufen, ohne etwas zu leisten.“
Der iranische Wirtschaftsexperte Mostafa Dehghan ist der Meinung, dass das beste Mittel gegen die Rezession Investitionen seien. Deswegen sei das Atomabkommen eine gute Gelegenheit. Außerdem sei die Arbeitslosigkeit zumindest etwas zurückgegangen. Einige kleine Geschäfte hätten dadurch den Mut gefunden, ihre Ideen zu verwirklichen.
Medikamente sind besser verfügbar
Die Menschen, die in Armut auf der Straße leben, spüren in einem Punkt Besserungen. „Für unsere Familie ist der Vorteil des Atomabkommens die bessere Verfügbarkeit von Krebsmedikamenten“, sagte ein 35-jähriger Arbeitsloser in Teheran. Zur Zeit der Sanktionen galten diese Medikamente als Mangelware. Jetzt seien sie zwar nicht billig, aber wenigstens erhältlich. Dem stimmte eine 28-Jährige zu, die unter Multipler Sklerose leidet. „Ich fühle mich jetzt sicherer. Vor dem Abkommen war ich wegen des Medikamentenmangels immer sehr beunruhigt – was auf meine Erkrankung eine ziemlich schlechte Wirkung hat.“
Warum es nicht genug Arzneimittel im Iran gab, obwohl sie nicht unter die Sanktionen fielen, erklärte Dehghan: „Das Einkommen der iranischen Regierung war gesunken und gleichzeitig wollten die europäischen Banken mit dem Iran nicht handeln. Die Regierung musste deswegen Waren aus China und Indien importieren.“ Jetzt könnte die Regierung auch wieder Medikamente aus westlichen Ländern kaufen.
Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr
Eine 31-jährige Grafikerin spricht ein weiteres kritisches Thema an: „Ich hatte erwartet, dass die Verhandlungen mit dem Westen zunehmen und der Wechselkurs fällt. Doch es wurden nur ein paar Vereinbarungen geschlossen, um neue Flugzeuge zu kaufen.“ Das sei ihr zu wenig. Nächstes Jahr findet die Präsidentschaftswahl statt. Wenn die Mehrheit wirtschaftliche Erfolge durch das Atomabkommen sieht, könnte das die Trumpfkarte der Reformer werden.