„Eine Auswahl zwischen dem Schlechten und dem noch Schlechteren“, das Argument, nach dem die meisten Iraner bei fast jeder Wahl ihren Kandidaten aussuchen. Jetzt bezeichnet sich Präsident Rohani als der Schlechte, gegenüber dem Hardliner, dem Schlechteren, Raisi. Selbst Rohani zögert nicht, den Wählern Angst zu machen: „Sie sind diejenigen, die auf den Straßen eine Mauer zwischen Männern und Frauen bauen wollen. Ihr kennt sie nicht. Ich kenne sie“, die Kandidaten der Konservativen ist mit „sie“ gemeint.
Am 19. Mai dürfen 55 Millionen IranerInnen einen neuen Präsidenten wählen oder die Präsidentschaft des Amtsinhabers verlängern. 25 Millionen von ihnen sind zwischen 20 und 35 Jahre alt. 1,2 Millionen dürfen zum ersten Mal ihre Stimme geben.
Wer sich am meisten vom Establishment distanziert, wer mehr Veränderungen garantiert, oder mindestens dies versuchen wird, hat die Stimme dieser Generation – die Stimmen, die für die Wahl und für den Gewinner entscheidend sind.
Kamyar, der 27-jährige Veterinärstudent, ist einer von ihnen, der, obwohl er nicht einmal an Gott glaubt, für Rohani, einen Geistlichen, stimmen will: „Ich habe mir viel überlegt. Letztendlich geht es aber nicht, an der Wahl nicht teilzunehmen. “Als derjenige, der nicht auswandern könne, dürfe er sich nicht gegenüber der Situation gleichgültig zeigen. Kamyar meint, Wahlboykott bringe nichts. Allerdings ist es seiner Meinung nach auch naiv zu glauben, dass Iraner durch einen Wahlgang von einem religiösen Staat zu einer Demokratie kommen könnten. Er fügt hinzu: „Meine Stimme für Rohani ist keine Stimme für Freiheit, Gerechtigkeit oder Menschenrechte. Sondern das ist nur ein Versuch, nicht unterzugehen. Die Wirtschaft hat sich in seiner Zeit verbessert, und das ist uns, den Jugendlichen, wichtig.“
Der letzte Tag des Wahlkampfs
Die gescheiterten Versprechen
Kamyar hat recht, die Inflationsrate ist innerhalb den letzten vier Jahren gesunken. Das ist aber nicht alles, was Präsident Rohani 2013 versprach, und nicht alles, was die Wähler erwarteten. In Rohanis Wahlversammlungen ist Mousavis Name laut und deutlich zu vernehmen. Der Anführer der sogenannten Grünen Bewegung steht seit sieben Jahren unter Hausarrest. Es darf nicht einmal sein Name in die Öffentlichkeit erwähnt werden. Junge Nutzer der sozialen Netzwerke verbreiten zensierte Beiträge im Netz, das erschreckt die Konservativen, die glaubten die Onlinemedien unter Kontrolle zu haben.
Der Willen zur Veränderung
Reyhane, die 30-jährige Soziologin, hat keinen wirtschaftlichen Grund, ihn zu wählen, weil sich nichts im Leben ihrer Familie verändert habe.
Nachdem die Bewegung 2009 niedergeschlagen wurde, sind vielen der Reformer und Gegner von der Politszene verschwunden. Jetzt suchen die damaligen Protestler nach einem weniger gefährlichen Weg, sich zu äußern. Reyhane ist eine von ihnen und meint: „Der Gang zur Wahlurne ist ja unsere einzige friedliche Gelegenheit für ständige, unumkehrbare Veränderungen zu sorgen und der einzige Weg, die Konservativen zu stoppen.“
Doch die Meinung, dass alle Kandidaten gleich seien und der Präsident nichts verändern könne, hat noch ihre Anhänger.
Laut Umfragen hat Rohani die besten Chancen, das könnte sich allerdings ändern. IranerInnen entscheiden sich oft erst kurz vor dem Wahltag. Aber was immer auffällt, selbst bei den Jugendlichen, die eine schnelle und große Veränderung fordern, ist die Gelassenheit und Geduld. Reyhane, die Soziologin, sagt: „Wir haben aus Rohani, einem Moderaten, einen richtigen Reformer gemacht, der jetzt zu uns gehört“, zu denjenigen, die ihm noch eine Chance geben möchten.